„Wir machen weiter, denn Krieg ist keine Entschuldigung“

Artikel: „Wir machen weiter, denn Krieg ist keine Entschuldigung“

Im Interview erzählt der charismatische Chef der ukrainischen Eisenbahn, Alexander Kamyshin, wie Eisenbahner:innen in Kriegszeiten den Betrieb aufrecht erhalten und warum er es schafft, positiv zu bleiben.

Wir trafen Alexander Kamyshin auf dem ukrainisch-polnischen Stand der InnoTrans-Messe, direkt neben dem Stand der Deutschen Bahn. Einen Tag, nachdem ihm Richard Lutz zugesichert hatte, die DB werde seinem Unternehmen beim Wiederaufbau helfen, bekräftigten auch Eisenbahner:innen aus Polen, UK und den USA ihre ungebrochene Solidarität mit der Ukraine. Der 37-jährige Kamyshin bedankte sich anschließend bei jedem einzelnen von ihnen persönlich mit Handschlag.

Nicht nur durch seine Größe von fast zwei Metern, sondern auch durch sein Charisma sticht der Ukrainer aus der Menge heraus. Auf Twitter teilt er seine Erfahrungen im Kriegsgeschehen. Seit August 2021 führt Kamyshin als CEO die staatliche ukrainische Eisenbahngesellschaft Ukrzaliznytsia (UZ). Vorher arbeitete er als Berater im Ministerium für Infrastruktur in Kiew. DB Welt durfte ihm einige Fragen stellen.

Lieber Herr Kamyshin, wie gefährlich ist die Situation derzeit für Eisenbahner:innen? Womit haben Ihre Bahnmitarbeitenden täglich zu kämpfen?

Unabhängig davon, wie schwer die russische Armee uns beschießt: Wir hören nie auf. Wir machen weiter. Und wir versuchen, dabei den Fahrplan einzuhalten. Das ist wichtig für uns, weil der Krieg keine Entschuldigung ist. Für uns ist entscheidend, dass der Betrieb weiterläuft. 

Wie ist das derzeit möglich? Haben Güterzüge Vorrang vor Passagierzügen? Und wie viel regelmäßiger Personenverkehr fährt derzeit?

Auch vor dem Krieg war unser Hauptfokus der Güterverkehr. Personenverkehr war für uns schon immer ein Nebengeschäft. Aber dieser Krieg zeigt uns, dass wir dem Personenverkehr mehr Aufmerksamkeit schenken sollten. Und währenddessen betreiben wir beides weiter. Es fahren Güterzüge, es fahren Personenzüge, keine von ihnen haben Vorrang. Wir haben genug Kapazitäten für beides. 

Wie ist aktuell der Zustand der Infrastruktur und der Züge? 

Die Infrastruktur ist schwer beschädigt, weil die russische Armee uns täglich angreift. Letzte Nacht hat sie wieder einen Bahnhof beschossen. Und in der Zwischenzeit finden wir Wege, wie wir die Schäden sofort beheben können, damit wir umgehend wieder fahren können. Aber der vollständige Wiederaufbau der beschädigten Infrastruktur wird Jahre dauern. 

Das Ausmaß der Zerstörung muss in manchen Momenten niederschmetternd wirken. Wie schaffen Sie es, in einer so schrecklichen Krise trotzdem positiv zu bleiben? 

Ich will leben. Ich muss überleben und einen Weg finden, wie mein Land überleben kann, mein Unternehmen überleben kann, mein Volk überleben kann, und das gibt mir die Kraft, positiv zu bleiben. 

Die Lage des ukrainischen Volkes bewegt auch die deutschen Eisenbahner:innen sehr. Wie können die Deutsche Bahn und die Kolleg:innen der DB Sie bestmöglich unterstützen? 

Der beste Weg, um zu unterstützen, ist, an der Seite der Ukraine zu stehen, wie es Deutschland tut, wie es die Deutsche Bahn tut. Für mich ist es wichtig, die Partnerschaft mit der Deutschen Bahn zu stärken. Wir hatten schon vor dem Krieg eine erfolgreiche Partnerschaft und wir spüren die Unterstützung seit Kriegsbeginn. Ich bin sicher, dass wir unser Unternehmen zusammen mit der Deutschen Bahn weiterentwickeln werden.

Was Sie und Ihre Mitarbeitenden leisten, ist beeindruckend. Schlafen Sie jemals oder arbeiten Sie rund um die Uhr? 

Wenn es irgendwo Handlungsbedarf gibt, gilt: Egal, wie viel Schlaf wir gehabt haben und egal, was um uns herum passiert – wir müssen vor Ort ins Geschehen eingreifen. Nur so können wir den Laden am Laufen halten. Und, das hat der Krieg gezeigt: Als Leader mit gutem Beispiel voranzugehen, ist der beste Weg, das Unternehmen durch Kriegs- und Krisenzeiten zu führen.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Kamyshin!