Artikel: ICE-Hublift: Ein Coaching im laufenden Betrieb
Der eingebaute Hublift in ICE-Zügen genießt nicht den besten Ruf beim Bordpersonal. Das soll sich dringend ändern – damit auch Reisende mit Einschränkungen gerne mit der Bahn fahren und gut an ihr Ziel kommen. Um das zu erreichen, haben zwei Praxistrainer von DB Fernverkehr fünf Kolleginnen aus dem Bordservice zu Coaches ausgebildet. Sie sollen ihr Wissen weitergeben, um die sichere Bedienung des Hubliftes zu gewährleisten und Kund:innen ein flexibles Reisen zu ermöglichen.
Die zwei Praxistrainer Heiko Mähringer und André Nitschke warten an Gleis 14 des Münchner Hauptbahnhofs auf die Zugbegleiterinnen und Bordgastronominnen. Sie sollen Hublift-Coaches für den ICE werden und das Bordpersonal mit der Einstiegshilfe unterstützen. Denn noch werden die Hublifte der ICE-Züge kaum genutzt – zu umständlich, zu störanfällig. Die Scheu beim Bordpersonal ist groß. Und doch steckt so viel Potenzial im Einsatz der bordeigenen Einstiegshilfe. Fahrgäste mit mobiler Behinderung oder Einschränkung wären nicht allein auf den Mobilitätsservice von DB InfraGO angewiesen. Außerdem steht es ihnen frei, über den Hublift in den ICE zu gelangen. Dann ist es wichtig, dass vor allem Zugchef:innen und Zugbegleiter:innen den Hublift gerne und sicher benutzen; und vor allem erstmal: sich rantrauen. Genau darum geht es heute beim sogenannten Coach-the-coach: Hürden abbauen.
Auch die Influencer Karin Cordes-Zabel, bei Social Media als Zauberbärin unterwegs und selbst Rollstuhlfahrerin, und ihr Ehemann Frank Cordes, Frankyman in seiner Funktion als Influencer, sind heute mit dabei. Sie möchten die Sicht der Gäste mit Mobilitätseinschränkung einbringen. Ein ICE 4 ist mittlerweile eingefahren und wird hier am Gleis knapp eine Stunde lang stehen. Heute im Fokus der Schulung: die Baureihen 412 und 407. Bei ihnen sei die Hublift-Bedienung deutlich komplexer als bei der Baureihe 408, so Mähringer.
Perspektivwechsel erweitert den Blick
Die Praxistrainer haben ein gutes Konzept für den Coaching-Tag ausgearbeitet. Los geht es mit einem Negativbeispiel: Die beiden Coaches machen vor, wie es derzeit leider manchmal abläuft, doch wie es nicht bleiben sollte. Dafür schlüpft Claudia Galler in die Rolle einer Reisenden mit Rollstuhl. Die Trainer Mähringer und Nitschke ignorieren sie, machen abwertende Gesten, es findet kaum Kommunikation statt. Das tut schon beim Zusehen weh.
Nach der Vorführung besprechen sie die Beobachtungen in der Gruppe. Kommunikation fange schon bei der Körpersprache an, so Trainer Heiko Mähringer. „Die Angst davor, etwas kaputt zu machen, schlägt sich häufig in Unhöflichkeit nieder.“ Aber auch wenn die Verkehrsleitung aus Zeitgründen von „Rollstuhl“ statt von einem Fahrgast im Rollstuhl spreche, übertrage sich das aufs Bordpersonal. Die Kolleg:innen würde dann automatisch dazu neigen, weniger die reisende Person zu sehen, als vielmehr ein sperriges Gerät oder eine Hürde für den Fahrplan. Das Ehepaar Cordes gibt Tipps, wie gute Kommunikation aus Sicht von eingeschränkten Reisenden funktionieren kann.
Erste Erfolge
Danach versuchen sich die Kolleginnen selbst mit dem Hublift. Immer mit Unterstützung der Profis. Karin Cordes-Zabel fährt schließlich mit ihrem elektrischen Rollstuhl auf die Plattform und lässt sich von den Coach-Neulingen in den ICE bringen. Die Gruppe wechselt zum nächsten eingefahrenen Zug, einer Baureihe 408. „Der Hublift ist zwar einer der besten, aber deutlich schmaler“, sagt Nitschke. „Die Gäste müssen ganz gerade rauffahren.“ Das klappt ohne Probleme und man merkt langsam: Die Vorsicht bei den Kolleginnen nimmt deutlich ab. Sie gehen beherzt ans Hoch- und Runterfahren ran.
Frank Cordes hat währenddessen immer ein paar Hinweise parat: „Wir freuen uns, wenn das Bordpersonal ehrlich ist. Lieber um Verständnis bitten, wenn es hakelig wird, als nach Ausreden zu suchen.“ Das Ehepaar hat als Vielfahrer schon viele unangenehme Situationen erlebt. „Warum müsst Ihr überhaupt reisen?“, habe sie ein Zugbegleiter gefragt, der scheinbar überfordert war von der Aufgabe, den Hublift zu benutzen. Solche Beispiele posten die beiden rigoros in den sozialen Netzwerken. Sie möchten auf ihre Situation aufmerksam machen, für Verständnis werben und Verbesserung vorantreiben. „Deswegen sind wir auch heute dabei. Wir erwarten nicht, dass von heute auf morgen alles bodengleich ist und reibungsfrei funktioniert, aber wir möchten, dass es Schritt für Schritt besser wird.“ Eine selbstverständliche und regelmäßige Nutzung des Hublifts sei ein solcher Schritt auf dem Weg zur Barrierefreiheit. Die Community mobil eingeschränkter Menschen sei da oft ganz anderer Meinung und fordere „kompletter Umbau, und zwar jetzt“. „Das ist einfach unrealistisch“, sagt Frankyman Frank Cordes. Es sei schon toll, dass die Bahn die Probleme benenne.
Gecoachte werden zu Coaches
Ziel des Coachings ist es, dass die neu ausgebildeten Coaches über die nächsten Wochen das Bordpersonal bei der Bedienung der Hublifte unterstützen. Sie stehen zur Seite und korrigieren. Dafür werden sie an verschiedenen Bahnhöfen im Einsatz sein.
Beim nächsten ICE, einem ICE 3 der Baureihe 407, wird zusätzlich etwas ganz Anderes verprobt: das Kurbeln im Störungsfall. Wenn die Plattform sich nicht mehr elektrisch heben lässt, kann sie auch manuell hochgepumpt werden. Bis zu 200 Hubstöße sind dafür notwendig. Ein kleiner Kraftakt, aber die Kolleginnen nehmen es sportlich.
Nach einigen Stunden Praxisteil geht es für die Gruppe zum Abschluss in einem ruhigen Raum weiter mit einem Theorieteil. Fokus sind praktische Hinweise zu den nächsten Coaching-Wochen und als Vertiefung noch einmal die richtige Kommunikation mit den Reisenden. Auch dass man Fahrgäste, auch wenn sie sprachlich eingeschränkt sind, direkt anspricht.
"Es hat richtig gut geklappt!"
Zum Abschluss blicken alle auf den Tag zurück. Vor allem die Kolleg:innen, seit neuestem Hublift- Coaches, sprudeln vor Erkenntnissen. Sie sind erleichtert, wie gut alles geklappt hat und wie gut sich die eine oder andere Problematik beheben ließ. Gastronomin Paulina Nordwich wünscht sich, dass das gesamte Bordpersonal eingebunden wird. „Klar, jede und jeder kann helfen, wenn es um den Ein- oder Ausstieg unserer Reisenden geht“, da sind sich die Praxistrainer einig. Claudia Zeh freut sich darauf, ihre Erfahrungen weiterzugeben und anderen Kolleg:innen Mut zu machen im Umgang mit dem Hublift. „Mir war vorher total bange, ob ich mir alles merken kann. Die Fahrzeugeinweisung ist lange her. Aber es hat richtig gut geklappt!“ Und so schwärmen die Kolleginnen aus, um die Bahn in Sachen Barrierefreiheit Stück für Stück besser zu machen. Damit es bald öfter so ist, wie es Frank Cordes für einige Bahnfahrten in Erinnerung hat: „Wir haben mit den Zugbegleitern abgeklatscht, wenn wir uns gemeinsam gefreut haben, dass alles funktioniert hat!“